November 2020
VON LÜCKENFÜLLERN
und
ALLTAGSHELDINNEN
Es ist ruhig geworden.
Hilfe möchte man lauthals schreien!
So komme mir doch jemand zu Hilfe und schreie mit mir, um Hilfe!
Hiiiiiiiil-fe!
Hiiiiiiiil-fe!
Hiiiiiiiil-fe, es ist so ruhig!
Hilf mir doch mal jemand dabei, herauszufinden, warum es so ruhig geworden ist! Menschenruhig. Wer hat die denn abgestellt? Während ich mich selbst befrage, ist es weiterhin beängstigend ruhig. In den alten Western ist das jener Moment, in dem die ohnehin kargen Straßen zwischen den Häusern,wie leer gefegt sind. Leer. Der Wind bläst den müden rostbraunen Wüstensand vor sich her. Und damit man nicht denkt, dass es sich um einen Western von Gestern handelt, rollt zur allgemeinen Aufmunterung, wie von Geisterhand bewegt, jene Wüstendistel durch die karge Szenerie. Das ist es, was ein Lückenfüller zu tun hat. Er füllt eine entstandene Lücke. Das ist alles, was er zu tun hat. Dafür ist er da. Also rollt die Wüstendistel. Sie rollt und rollt und rollt. Und wir wissen, dass das nur ein kurzer Moment ist. Denn sie werden kommen. Die Schurken und die Gerechten, wie auch die, die gerechte Rache wollen und ein Sheriff mit einem tief sitzenden Cowboyhut und einem funkelnagelneuen Stern, der keine Angst vor einer Überzahl an schiesswütigen Gesetzlosen hat, die nichts anderes wollen, als ihn, weg zu pusten. Wenn dann die Sonne am höchsten steht, wird er sich ihnen ganz allein in den Weg stellen. High noon. Sein Cowboyhut, der wie bereits gesagt, sehr tief sitzt, lässt nur vermuten, wie abgefuckt cool er ist, oder ob er sich vor Angst, fast in die Hose scheißt. Ja, dies ist eine Szene, die Show-Down-Szene, die sich fest in unser westliches Gehirn gebrannt hat. Eine Brand-Mal-Szene und wir die Gebrandmarkten. Ein Mal, das mit einem heißen Eisen in unsern westlichen Westernkopf hinein gebrannt wurde und für immer und ewig drin geblieben ist. Ihr dummen Kälber. Aber Cowboys waren wir und Cowboys werden wir immer sein, auch wenn nur auf dem Asphalt. Respekt, aber weiter im Text. Unerträgliche Spannung liegt in der Luft und das Metall, das den Treibsatz der Kugeln im geladenen Colt umschließt, befindet sich am Schmelzpunkt. Eine alles versengende Hitze ist das! Ein Ring aus Schweiß hat sich im Cowboyhut um den Kopf gelegt. Er bildet jene kühlende Fassung, die dafür sorgt, dass wir sie nicht verlieren. Im Schweiße unseres Angesichts, tropfen wir vor uns hin und verlieren sie nicht. Cool down! Zeig` ja nicht einen Funken einer Emotion. Unsere Fassung. Man hat sie aus gutem Kruppstahl gegossen. Deutsche Wertarbeit ist das. Ähnlich verhält es sich, wenn es Deutschland mal wieder ins Finale einer Männerfußballweltmeisterschaft geschafft hat. Alle Städte und Dörfer sind dann, ein einziges Westerndorf. Und die Sonne steht direkt über unseren Köpfen und nagelt die Schatten, die wir werfen, senkrecht in den heißen Asphalt rein und die Wüstendisteln rollen unbemerkt vor sich hin.
BÄÄÄÄÄÄÄÄHHHHM.
TSCHACK!
Western-schieß-mich-tot-Kultur. Mann-gegen-Mann-Kultur. Mann oh Mann! Ist das archaisch. Und Götze macht das Ding dann rein. Und dann schreien wir alle. Wir schreien Erlösungsschreie hinaus, die dann nahtlos in Siegesgeschrei übergehen. In ein vernichtendes Siegesgebrüll.
WUUUUUUUUAAAH!
Wir haben euch besiegt. Wir sind Weltmeister. Wir sind wieder wer! Und wir sind die Weltmeister im Besiegen. So sieht`s aus und wir schreien das, lauthals raus!
UUUUUUUUH!
UUUUUUUUH!
UUUUUUUUH!
Hinter den Kulissen ist es ruhig. Bedrückend ruhig. Quecksilbernes Schweigen im Stimmungsbarometer. Vorne wird schließlich ein Western gedreht und da, wo vorne ist, da spielt eben nun mal die Musik in aller Plattheit der Wortwahl vor sich hin. Die totale Aufmerksamkeitsmusik. Und Männer lieben Marschmusik und Einmarschiermusik und Arschmusik. Und Arschmusik ist jene Musik, die Ärsche machen und die Ärsche nun mal, mögen. Die Ärsche des Patriarchats, die wissen, dass es nur so geht, wenn sich alles, wie gewohnt, nur um sie, dreht. Man muss eben selbst ein Arsch sein, um das machen und wie gewohnt, erwarten zu können. Die volle Aufmerksamkeit. Hinten ist es mucks-mäuschen still. Da sitzen sie, die wahren Helden des Lock-downs. Trautes Heim, Glück allein. Sie wirken im Stillen und betreuen ihre Brut. Brutpflege nennt man das bei Fischen. Und Fische sind ja, wie man weiß, stumm. Und das ist nun wirklich unspektakulär. Stumme Heldinnen betreuen hier die künftigen Nachfahren des Lock-downs. Diese Heldinnen sind Frauen. Genauer gesagt jene von den Frauen, die Mütter sind. Mütter, die Beruf und Berufung miteinander vereinbaren können. Oder eben, wollen. Ja, das sind die wahren, die einzig wahren Mütter. Sie sind es, die das Gesicht der Gesellschaft gefasst wahren, während sie im Homeoffice den Global Player wuppen, im Hand um drehen ein drei Gänge Menü zaubern, die Wäsche in den Trockner pfeffern und vergnügt trällernd, grenzdebil grinsend ihre Fingernägel ferrari-rot lackieren und dabei ganz zufällig, verführerisch milf-hot aussehen. „Schaaaaaaaaatz, wann kommst Du nach Hause?“
UUUUUUUUH!
MRRRRRRRR.
Ja, das ist wahrer Luxus, denn wir lassen unsere Kinder von nichts Geringerem großziehen, als von Heldinnen. Heldinnen sind dafür gerade gut genug. Die Besten der Besten ziehen unsere Kinder groß, während vorne die Musik spielt und die schweren Colts geladen und entsichert in ihren Lederschäften auf den heiß ersehnten Schuss warten. Auf jenen Schuss, der viel Geld bringt und den hotte Babes sehnlichst stöhnend kaum erwarten können und den wir alle, ganz bestimmt und sicher doch, immer wieder sehen wollen, weil wir selbst verblödet sind oder es medial wurden. Kulturelle Duldungsstarre als Livestream in Echtzeit. Das ist geil! Wie geil ist das denn! Hiiiiiiil-fe! Ja, und immer wieder wollen wir das sehen, als würden wir es immer noch nicht glauben können, dass dies, nichts anderes, als ein Schuss in den Ofen ist. In welchen Ofen auch immer. Der althergebrachte männliche Aufmerksamkeitsofen? Durch diesen hohlen Ofen wird er kommen! Vielleicht ist es ein verzweifelter Schuss in jenen inhaltsleeren Ofen, die unsere Gesellschaft inzwischen fernseh-technisch, brainmäßig und sozial geworden ist. Ein kalter Ofen einer in Bewunderung der Männer erstarrten Gesellschaft. Aber Götze macht das Ding doch rein! Unser Götze!
BÄÄÄÄÄÄÄÄHHHHM.
UUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUH!
Wovon werden unsere Kinder berichten werden? Wovon werden sie uns berichten können? Nach dem Lock-down ist vor dem Lock-down? Von welchen Heldinnen werden sie uns berichten? Von der strengen Bundeskanzlermutter Angie mit der Maske, die uns sachlich ernst und immer gefasst, nahezu ungerührt durch die Pandemie führte, wie einst Mose sein Volk durch das geteilte Meer? Von dem immer geilen Entdecker Columbus oder jener kleinen Greta, die von ihrem Vater begleitet, mit dem Segelboot nach Amerika schipperte. Wovon verdammt noch mal? Gewiss nicht von den Heldinnen, die ja immer schon die wahren Heldinnen des Hinterlandes waren. Sicher nicht, von ihnen. Eher wohl von jenen mutigen jungen Gladiatoren des Patriarchats, die sich ganz selbstlos in die blanke Leere der kalten Stadien warfen, um sich für uns und unser Volk medial zu opfern? Stimmt doch gar nicht! Drauf gespuckt und unerschrocken wie ein Spartazene in den Eiskübel gesprungen! Werden sie uns von ihnen berichten oder von den Heldinnen hinter den Kulissen? Wer weiß? Wer kann das jetzt schon wissen? Abwarten und `ne Latte macchiato schlürfen. Oder soll ich, sippen sagen? Aber Hinterland ist und bleibt nun mal, Hinterland. Daran kann nichts rütteln und aus dieser staubigen Ecke kann uns auch kein noch so wüster Westernwind heraus pusten. Die Heldinnen des Alltags, sie sind, wenn wir dem Wort folgen und dies, ganz ohne Hintergedanken, sie sind eben nun mal, nichts, als das. Alltäglich. Wer traut es sich zu, in einem leeren Stadion, vor leeren Rängen zu spielen? Wer hat so viel Mut? Wessen Ego kann sich das vorstellen? In einem zuschauerlosen Stadion? Wer ist so von sich selbst überzeugt? Wer? Donald? Neeeeh. Etwa nur der Trump-el Donald? Denkste! Von denen haben wir doch selbst genug. Mehr, als genug. Und nach dem Spiel werden sie gemeinsam duschen und sich die Seife reichen, aber natürlich mit Mundschutz. Damit nichts passiert, mh, also aerosoltechnisch gesehen.
UUUUUUUUH!
UUUUUUUUH!
UUUUUUUUH!
Um das zu können, muss man in seiner Kindheit von einer Hinterlandsheldin betreut und liebevoll großgezogen worden sein. Nur sie kann uns so streng liberal erziehen und mit so viel Liebe und Selbstwert ausstatten, während sie sich ganz in ihrer Rolle, als Heldin des Alltags verwirklicht und im prallen Glanz ihrer Tage, nichts anderes ist, als ein dämliches Rollenbild einer veralteten heterosexuellen, patriarchalen Gesellschaft, die sich an Geisterspielen von um sich spuckenden Jungpatriarchen erfreut und auf nichts anderes mehr, zu warten scheint, als auf weitere Beschränkungen, die wir uns, Tag ein, Tag aus, einfallen lassen, weil wir inzwischen selbst schon, so blöd-geil beschränkt sind.
Vielleicht lebt es sich ja beschränkt leichter? Vielleicht? Wer weiß das schon? Wer kann das jetzt schon wissen? Wer weiß das überhaupt noch?
MHHHHHHHHH?
MRRRRRRRR.
Die Sonne wird nachdem alles überstanden ist, ganz langsam rotglühend im Horizont der Wüste verschwinden. Und sie wird die Silhouette des rauchenden Marlboro-Cowboys mit sich nehmen und ganz langsam im Dunkel unserer eigenen Erinnerung verschwinden lassen. In der Nacht verblasst der Tag und man vergisst. Schließlich haben wir alle ein Recht darauf, vergessen zu dürfen. Morgen früh, da wird sie wieder aufgehen. Die gute, die alte Sonne. Die selbstlose Sonne. Strahlend wird sie in unseren noch jungen Tag leuchten und uns, unseren Tag machen. Make my day. Dankeschön, liebe Sonne. Freut euch! Freut euch, ihr gebrandmarkten Kälber der westlichen Welt. Ein neuer, ein alter Tag bricht an!
AUFBRUCH IN DIE VERGANGENHEIT
Ja, man kann sich fragen, was dieser Text hier zu suchen hat? Hier im Begleitprogramm der VEREINS ZUR RENATURIERUNG DES MENSCHEN. Natürlich sucht er nichts, denn es ist keine Eigenschaft von Texten, nach etwas zu suchen. Aber, eine Weisheit besagt, dass der, der sucht, findet. Und weil ich auf der Suche nach der Renaturierung des Menschen war, habe ich diesen Text gefunden. In mir drin, da konnte ich ihn finden. Ich fand ihn, weil ich ihn gesucht habe. Das klingt schön und auch ein Bisschen aufmunternd, weil erfolgreich. Sein Inhalt aber, ist schwer. Wiegt schwer und macht uns, so wie es im Moment ist, noch schwerer. Das soll aber nicht sein Ziel sein. Was will dieser Text aber erreichen?
MHHHHHHHHH?
Vielleicht muss, damit sich etwas ändert, das Schwere, das wir, Tag aus, das wir, Tagein tragen und ertragen, so schwer werden, so schwer, dass wir es, nicht mehr tragen, können. Wir an unserer Tragegrenze. Traglast überschritten. So schwer, dass wir es nicht mehr, er-tragen können. Dann stehen wir da, und können es nicht fassen, dass wir das nicht mehr können, denn bisher da konnten wir es doch auch. Jetzt aber, nicht mehr.
MHHHHHHHHH?
Was so schwer ist, dass wir es nicht mehr tragen können, das sollten wir, liegen lassen. Es wird auf Grund seines eigenen Gewichtes, immer tiefer in die Erde sinken. Immer tiefer. Und dann, dann wird es weg sein. Unvorstellbar weg. Einfach weg. Nicht mehr in unserem Weg.
MHHHHHHHHH?
Haben wir etwa das Schwere, das auf seinem Weg in die Erde war, aufgehalten? Konnten wir es nicht aushalten, dass wir es nicht aufhalten können? Nun? Wenn wir es ohnehin nicht können, wenn wir es nicht aufhalten können, dann sollten wir jenes, das gehen will,
gehen lassen.
Los lassen.
LETTING GO.
MHHHHHHHHH?
Ich mache einen Vorschlag:
Geht hinaus, aus eurem Haus und lauft auf den Wegen, die ihr gehen müsst, bis ihr zu den Feldern kommt. Wenn ihr dort seid, dann schaut euch um und schaut euch an, was es zu sehen gibt. Dies ist alles, was ihr zu tun habt. Und wenn ihr das gesehen habt, was es zu sehen gibt, dann merkt euch das und prägt es euch, gut ein. Dann geht ihr auf den Wegen, auf denen ihr gekommen seid, zurück. Geht nach dorthin, von woher ihr gekommen seid, zurück. Und wenn ihr dort angekommen seid, von wo aus ihr losgegangen seid, wenn ihr dort wieder angekommen seid, dann schaut euch an, was es zu sehen gibt. Schaut es euch genau an, was es dort zu sehen gibt. Dies ist alles, was ihr zu tun habt. Und wenn ihr es gesehen habt, dann prägt es euch ein. Merkt es euch gut. Dies ist alles, was ihr zu tun habt. Dann. Dann setzt ihr euch hin und schaut euch diese beiden Eindrücke, die ihr in euch gespeichert habt, an.
Wenn ihr das gemacht habt, dann danach, dann fangen wir an.
Dann fangen wir an.
Ich wünsche euch Mut, ihr Menschen.
Mut, zur Lücke.
Und Mut, zur Schwerelosigkeit.