2020
LAST MINUTE LEBEN
oder
ZU BESINNUNG KOMMEN
Vielleicht geht auch beides.
Draußen sieht es nun so aus, wie drinnen. Manchmal herrscht etwas Durcheinander, aber dann hält doch, die kühle, deutsche Ordnung wieder Einzug. Der Plan und seine Umsetzung bestimmt, lenkt und definiert. Wir führen schließlich nur noch aus, was wir am Computer entschieden haben. In der Kunst nennt man diesen Bereich der Kunst, Konzeptkunst. Nachvollziehbar, was ich damit meine? Alles ist brav und gehorsam eingetragen, präzise markiert, dadurch lokalisiert und genau definiert, und so am Schluss, für Außenstehende, also von außen und von ganz draußen, einsehbar, nachvollziehbar, kontrollierbar und falls erforderlich, wenn ein Regelverstoß vorliegt, strafbar. Big brother is watching you. Ha, ha, ha! Und wie gesagt, er beobachtet nicht nur, nein, sein langer digitaler Arm sieht alles und bestraft, wenn nötig.
Verstehst Du, worüber ich hier spreche? Spreche ich undeutlich? Oder kannst du mein Bürokratendeutsch doch verstehen? So sieht es nun mal aus, wenn Schreibtischhengste, keine Sorge, wenn ich das schreibe bin ich auch einer, die digitale Koppel rauf und runter galoppieren und vom sicheren Kämmerchen aus, über die Welt dort draußen, bestimmen. "Das sind doch Paragraphenreiter", wie man das allgemein, so vor sich hinsagt. Aber wenn wir einen Plan haben, auch wenn er schlecht ist, irgendjemand muss sich doch darum kümmern, dass er eingehalten wird. Der Plan ist aber nur so gut, wie jene, die ihn vertreten und dabei sind, ihn auszuführen. Und manche sind, ob wir es wollen oder nicht, eben nur, Erfüllungsgehilfen. Sie benötigen, um gehen zu können, eine Gehhilfe. Aber mehr kann ich nun wirklich, nicht sagen.
Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen und die Suche nach dem oder den Tätern, denn wenn wir mal ehrlich sind, wir sitzen alle im selben Boot und atmen auch alle, dieselbe Luft. Also atmen wir mal tief durch und entspannen uns und versuchen uns, auf das zu konzentrieren, worum es geht. Veränderung. Da steht es nun, dieses Wort. Doch in diesem Text sind schon sehr viele Worte zum Stehen gekommen und haben bereitwillig dazu beigetragen, dass dieser Text entstehen kann. Warum soll nun diesem Wort, eine besondere Aufmerksamkeit zukommen? Etwa, weil sich etwas ändern muss? Und wenn, warum brauchen wir Veränderung? Etwa, weil wir aus unserer industriell geprägten Wiederholungsschleife austreten wollen? Wollen müssen? Etwa, weil wir so nicht weiter kommen? Etwa, weil mehr Industrie kaum vorstellbar ist? Wollen wir etwa aus dieser Welt eine Fabrik machen? Oder, weil es besser klingt, ein Industriegebiet? Industriegebiet Welt. Und die Städte werden nachverdichtet, was wie eine bizarre Form eines Gedichtes klingt, das noch mal, nach dem es schon geschrieben ist, überarbeitet und verdichtet wird, damit seine Botschaft, noch intensiver und einprägsamer wird. Kannst Du das spüren? Die Dichte der Nachverdichtung? Den Zivilisationsdruck? Den In-der-Stadt-Druck? Und die Dörfer auf dem Land werden zu Geisterdörfern, denn die Bewohner verdünnisieren sich. Wenige arbeiten nun, mit schwerem Gerät, satellitengestützt, strukturiert und effizient in den monotonen Produktionswüsten, die wir mal, das Land genannt haben. Die Poesie, die mit dem Begriff Land einhergeht, ist nichts, als reine Nostalgie.
Wenn man nun raus geht, um aus voller und naiver Überzeugung mit den Landwirten zu reden, um sie für uns und unseren Verein zu begeistern, dann merkt man schnell, dass die nicht auf uns gewartet haben. Mit derselben Begeisterung begegnet man auch den beiden Jehovas oder aber, dem Vorwerkvertreter, der mit der Blume der Hausfrau wedelt, um sie von seinem Produkt zu überzeugen. Das ist nachvollziehbar. Willkommenskultur? Aber auf wen sollen die Landwirte, die da noch sind, warten. Auf wen? Auf den Winter? Auf den Regen zur rechten Zeit? Auf das Glück der Feldarbeit? Auf gute Nachrichten aus Brüssel? Wenn wir aber auf niemanden mehr warten, dann erwarten wir nichts mehr! Das ist schlichtweg gesagt, dramatisch und beängstigend. Die Soldaten, die in den beiden Kriegen im Feld kämpfen mussten, nannte man, Kanonenfutter. Vielleicht sind nun die Landwirte zum Kanonenfutter der Gesellschaft geworden? Wer im Dreck steht, der darf auch mit Dreck beworfen werden? Mit Gesellschaftsdreck. Vielleicht auch mit Nachverdichtetem? Mh? Und, wie oben im Text zu lesen, aus sicheren Kämmerchen, von einem, hinter einem Computer sitzenden Stadtbewohner, werden sie zielsicher gelenkt. Die Landwirtdrohnen. Ferngelenkt. Stadtgesteuert. Bürodirektiv. Subvention hat ihren Preis. Und der Preis, den wir für unser Essen nun mal zahlen wollen, er muss niedrig sein. Das ist uns Deutschen wichtig. Essen darf nicht viel kosten, denn Essen ist das, was wir in uns rein machen. Und mit dem, was wir in uns rein machen, damit bestimmen wir unseren Wert. Haben wir uns da nicht gerade selbst ins Knie geschossen? Ach, nur ein Kratzerchen. Schnell fahren wir mit unserem SUV zur Apotheke und kaufen uns ein Trostpflaster. Für ultrasensitive Haut.
Wenn man nun raus geht, um aus voller und naiver Überzeugung mit den Landwirten zu reden, um sie für uns und unseren Verein zu begeistern, dann merkt man schnell, dass die nicht, auf uns gewartet haben. Das wissen wir nun. Was wissen wir aber noch nicht? Wie würdest Du Dich fühlen, wenn es an Deiner Tür klingelt und da stehen nun zwei, die Dir erklären, dass sie vom VEREIN ZUR RENATURIERUNG DES MENSCHEN kommen und Dich von ihrem Konzept überzeugen wollen, um Dich letzten Endes dazu zu bringen, wenn Du ein Landwirt bist, dass Du an einem Deiner Felder einen Blühstreifen anbringst, um etwas für unsere Umwelt und die Lebewesen, die davon abhängig sind, zu tun. Wer ist hier noch mal von wem abhängig und warum? Wenn Du kein Landwirt bist, dann werden sie Dich fragen, ob Du jemand sein möchtest, der eine Patenschaft für einen Blühstreifen übernimmt, ob Du ein Vereinsmitglied sein möchtest, das den Verein durch seinen finanziellen Beitrag unterstützt oder ob Du einfach, ein großzügiger Spender für diese Sache sein willst? Die Formulare gibt es übrigens auf unserer Homepage.
Ja, das war nicht leicht zu lesen und deswegen auch nicht leicht zu verstehen. Mir war aber wichtig, diese ganz verschiedenen Seiten aufzuzeigen und zusammen zu bringen. Denn so ist es auch in einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft. Sie zeichnet sich durch ihre Unterschiede und eben jenen Respekt aus, den wir aufbringen, auch wenn wir manchmal, nicht viel über die anderen wissen. Und doch gehen wir, immer wieder, jener Neigung in die Falle, dass wir vorschnell über die anderen urteilen. Aber wer und was sind, die anderen? Sind sie ein Teil meiner alltäglichen Arroganz?
Als 2.Vorsitzender dieses Vereins kann ich mir es leisten, weil wir eine sehr engagierte und couragiert handelnde 1. Vorsitzende haben, allen Seiten gleich kritisch zuzuhören und aus der nötigen Distanz heraus, all dies, was hier vor sich geht, zu reflektieren. Wir haben den VEREIN ZUR RENATURIERUNG DES MENSCHEN gegründet, um kurz formuliert unsere Umwelt, aber vor allem, um uns selbst, zu ändern. Mit Blühstreifen hat alles begonnen, noch bevor dieser Verein gegründet wurde. Aus voller Überzeugung und ohne etwas zu erwarten. Und dann haben die Blumen geblüht. Was aber festzustellen ist, dass heutzutage zum einen, das Blühen von Blumen zu einem politischen Akt geworden ist, denn Blühstreifen müssen von den Landwirten zuerst eingetragen und können dann erst gesät werden. Und zum anderen, müssen wir uns fragen, warum wir so geworden sind? Wir Konsumenten. Wir Konsumenten? Wir andauernd auf der Jagd. Und jagend haben wir, keine Erwartung mehr? Weil wir nur noch konsumieren können? Warum nehmen wir all das so hin? Weil wir müde sind? Des Kapitalismus müde geworden? Wir konsumwund? Gestresst vom ewigen Jagen? Aber wenn wir ihn angefangen haben, diesen Kapitalismus, warum ändern wir ihn dann nicht? Aber wenn ihr dort Draußen, diesen Sommer, gut vernetzte Blühstreifen blühen sehen werdet, dann hoffe ich, dass ihr an all dies denkt, was ich hier für euch, auf- und zusammengeschrieben habe. Denn diese Blühstreifen sollen euch an dies erinnern, was ihr fast geworden wärt:
Die grauen Herren der Zeitsparkasse.